Missionsfeld Europa (Gespräch mit Claudia Währisch-Oblau)
Während Kirchen im gobalen Süden im Wachstum begriffen sind, verlieren sie in Europa an Mitgliedern. Auf der Hundertjahrfeier der Edinburgh-Konferenz spricht Claudia Währisch-Oblau, Vereinte Evangelische Mission (VEM), über „Gemeinsame Mission“ mit Migranten in Deutschland.
Hat sich die Haupt-Richtung der Mission auf Süd-Nord umgedreht?
Ich würde eher sagen, dass es heute keine klare Richtung mehr gibt. Mission geht heute in alle Richtungen: Nord-Süd, Süd-Nord, auch Süd-Süd, wie z.B. brasilianische Missionare in Kamerun etc. Mission hat sich enorm vervielfältigt.
Alle Kirchen verstehen sich inzwischen als sendende Kirchen. Egal ob pfingstliche in Afrika oder z.B. presbyterianische in Korea. Die spannendere Frage ist: Haben wir in Europa schon kapiert, dass wir Empfänger sind? Da bin ich mir weniger sicher.
Woher kommen heute die meisten Missionare?
Korea, Brasilien, Nigeria, das sind heute die Hauptsendeländer. Aber es gibt auch viele, viele andere. Hier auf der Konferenz ist z.B. Apostel Opoku Onyinah aus Ghana. Seine ‚Church of Pentecost’ entsendet Missionare in über 80 Länder. Das ist eine echte Missionskirche. Das Problem ist, dass viele dieser Kirchen nach unseren Maßstäben mindestens grenzwertig sind. Sie kommen auf dieser Konferenz nicht vor. Sehr schade!
Ist Europa heute ein Missionsfeld?
Die Kirchen in Afrika, Asien und Lateinamerika sehen das so. Und ich auch. Selbst die EKD spricht inzwischen von Mission. Die Frage ist: Kommen die Missionare für säkularisierte Menschen in Europa? Oder für eine Erweckung in unseren Kirchen?
Da wird es richtig spannend, weil es nicht so ist, wie wir selbst unsere Kirche sehen. Afrikanische Christen sagen: „Wir sehen, dass eure Kirchen sterben. Wir sind berufen, euch Erweckung zu bringen.“
Einerseits sehe ich auch bei Migranten viele Vorurteile. Sie blicken auf unsere Sonntags-Gottesdienste mit 15 alten Menschen und ziehen falsch Schlüsse über die Lebendigkeit unserer Kirchen. Andererseits bringen sie uns einen unmittelbareren Glauben, Geistesgegenwart. Ich persönlich habe für meinen Glauben enorm davon profitiert.
Wie reagieren unsere Kirchen?
Es gibt eine sehr starke Abwehr in den deutschen Kirchen: „Wir sind nicht defizitär!“
Und um das klar zu benennen: Ich finde nicht alles gut, was Christen aus dem Süden sagen. Manche predigen ein Prosperity Gospel (Wohlstandsevangelium). Es gibt starke Führerkulte, die für Europäer schwer zu ertragen sind.
Aber z.B. die ‚Redeemed Christian Church of God’ in Nigeria: Das ist eine Kirche, bei der ich, wenn ich genau hingucke, wenig auszusetzen habe. Aber selbstverständlich wird dort Heilung praktiziert. Prosperity Gospel wird gepredigt, auch wenn es nicht offizielle Theologie ist. Und sie schicken direkt aus Nigeria Missionare nach Deutschland. Sie arbeiten nicht nur mit Migranten.
Mein Plädoyer ist, den Dialog zu suchen, wahrzunehmen, zuzuhören. Offenheit für die Frage: Was will uns der Heilige Geist damit sagen? Ich führe sehr kritische Gespräche. Aber mit dem grundsätzlichen Verständnis: Ich nehme ernst, dass der Heilige Geist sie hierher geschickt hat.
Wie könnte solch ein Dialog konkret aussehen?
Bei meiner ersten Forschungsreise nach Westafrika habe ich eine Zeit lang einen
Pfingstpastor in Lagos begleitet. Der sagte ständig: „Der Heilige Geist sagt mir…“ Ich habe ihn mit der Frage gelöchert: „Woher weißt du, dass das der Heiliger Geist ist und nicht Deine eigenen Gedanken?“ Er ist darauf sehr gründlich eingegangen und hat mir seine Sicht erklärt. Und dann fragte er: „Redet der heilige Geist eigentlich nicht mit mir?“ Ich glaube das schon. Doch wie tut er das eigentlich? - Solche Dialoge brauche wir: offen, verletzbar über eigene geistliche Erfahrung sprechen. Das fällt deutschen Pfarren oft sehr schwer.
Gibt es Beispiele für gemeinsame Mission?
Bisher noch so gut wie gar nicht. Diese Vorstellung wird nur in ganz wenigen Ansätzen umgesetzt, und am ehesten im Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden. Wenn z.B. ein Afrikaner zum Reformationsfest oder Stadtkirchentag als Prediger eingeladen wird, ist das ein Anfang von ‚Common Mission’.
Mir ist hier auf der Konferenz noch einmal sehr deutlich geworden: Mission ist nicht die Gewinnung von Seelen oder Kirchensteuer-Zahlern. Mission bedeutet auch, in der Nachfolge zu leben. In unserer Gesellschaft, die sich immer mehr fragmentiert, ist es wichtig, dass Christen Beispiele geben für Gemeinschaft über Grenzen hinweg. Eben auch über Grenzen von Nationalität und Herkunft hinweg.
Sind unsere Kirchen offen für Migranten?
Es ist erschreckend, wie segregiert wir sind. Es gelingt uns überhaupt nicht, Migranten in unsere Kirche zu integrieren. Was bedeutet Einwanderung in unsere Kirche? Wir sagen: Klar dürfen die gerne kommen. Aber ein Gottesdienst in zwei Sprachen, jeden Sonntag, ist für uns unvorstellbar. Oder zwei Gottesdienste, einer deutsch, einer z.B. französisch... Sie finden bei uns nicht statt.
Hessen-Nassau ist die Landeskirche, die am weitesten geht. Sie haben drei fremdsprachige Gemeinden als Anstaltsgemeinden aufgenommen. Aber die rheinische Kirche bietet Migrationsgemeinden nur eine Mitgliedschaft dritter Klasse. Das ist nicht attraktiv. Unsere deutschen Strukturen sind zu starr und parochial. Es kann aber nicht nur darum gehen, wie wir Gemeinden fit machen für unser System.
Was könnten wir tun?
Bei der Anfrage an unsere Kirchenstruktur geht es letztlich immer um Finanzen. Die Ghanaische Presbyterianische Gemeinde in Düsseldorf z.B. hätte gerne einen Pfarrer. Es sind aber nur 150 Leute. Bei unseren landeskirchlichen Verteilungsschlüsseln können die keinen Pfarrer bekommen.
Ein anders Beispiel ist die presbyterianische koreanische Gemeinde, die es schwer findet, sich in die Landeskirche zu integrieren. Die brauchen für ihre zweite Generation in der Gemeinde, was ‚Intermediate Space’ oder ‚Third Space’ genannt wird. Die Jugendlichen leben zwischen zwei Kulturen, bräuchten z.B. Gottesdienste in deutscher Sprache. Warum nicht z.B. Konfirmanden-Unterricht für koreanische Jugendliche? Die können nicht mehr genug Koreanisch für den koreanischen Unterricht, aber die Eltern mögen sie aber auch nicht zum deutschen Unterricht schicken, wo sie zu wenig über die Bibel lernen. So gehen die koreanischen Jugendlichen verloren. Wo ist die Pastorin, die sagt: Können wir solch einen ‚Third Space’ für diese Jugendlichen schaffen? Das wäre ‚gemeinsame Mission’.
Ein weiterer wichtiger Punkt: Wir geben Räume in den Innenstädten auf. Es gelingt aber nur in ganz wenigen Fällen, diese zu übergeben statt aufzugeben, weil Migranten, die diese Räume suchen, nicht zahlen können. Müssten wir da nicht andere Wege suchen?
Ist die Kontaktaufnahme vielleicht zu schwierig?
Natürlich ist es schwierig. Man kann nicht einfach nur schriftlich einladen. Man muss mehrmals telefonisch nachhaken und nicht gleich sagen: Aber sie kommen ja nicht!
Es braucht auf allen Seiten Leute, die bereit sind, sich auf andere Kulturen einzulassen. Dort wo es Leute gibt, die das durchhalten, kann etwas wachsen.
Auch die Migranten müssen ihr Mistrauen gegen Deutsche ablegen, Schritte auf uns zu gehen. Als ich noch Beauftrage für Migrationskirchen war, bekam ich z.B. von einem deutschen Kollegen einen verzweifelten Anruf. Er hatte einen Prediger aus Sierra Leone auf seine Kanzel eingeladen. Der woltle es so machen, wie in seiner Kirche, nämlich die Gemeinde zu Amen- und Halleluja-Rufen anspornen. Das klappte nicht, so dass er schließlich sagte: „Ihr seid ja total tot.“ Und da gab es natürlich Probleme.
Deshalb müssen wir miteinander reden. Über den eigenen Glauben, geistliche Erfahrungen, den Umgang mit der Bibel. Es erfordert die Bereitschaft, sich in Frage stellen zu lassen. Das ist nicht so einfach.
Es braucht Leute wie z.B. Dr. Werner Kahl an der Missionsakademie in Hamburg. Wo die auftauchen, Leute ermutigen, Dialoge anstoßen, da passiert etwas. Es braucht sie auf beiden Seiten, vor allem unter Pfarrern, die bereit sind, sich einzubringen. Aber es gibt zu wenige von ihnen.
Welche Erfahrungen konnten Sie in ihre jetzige Arbeit mitnehmen?
Da kann ich natürlich viel von dem anwenden, was ich in Deutschland mit Migrations-Kirchen gelernt habe. Ich habe die Angst vor vielen Themen verloren, habe Erfahrung z.B. mit ‚All Night Prayer’ oder ‚Deliverance’ (Geisteraustreibung) gemacht und konnte darüber nachdenken.
Alle – in den Kirchen im Süden – praktizieren dies. Wir reden aber nicht drüber, weil wir Protestanten sind. Wenn ich als Deutsche komme und nachfrage, dann brechen die Dämme bei den Pfarrern, weil sie endlich eine Möglichkeit sehen, ihre Fragen zu stellen.
Was für Fragen haben Pastoren im Süden?
Ich mache viel Pfarrer-Fortbildung in Afrika und Asien. Thema ist dort oft die Herausforderung durch Pfingstkirchen. Wenn eine Frau z.B. sagt: „Pastor, ich hatte einen Traum. Was bedeutet der?“, dann sagt der Pastor mir: „Im Predigerseminar haben sie uns Traumdeutung nicht gelehrt.“ Typische Themen sind auch „Wer schützt mich vor bösen Mächten?“ oder Geistesgaben. Die protestantischen Pfarrer in unseren Mitgliedkirchen sind nicht darauf vorbereitet.